#1 Nicolas Gloor: EIN WIRKLICHES LEBEN
Nicolas Gloor ist 26-jährig, als ihm Amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert wird, kurz ALS. Auf einen Schlag bleiben dem jungen Mann einige wenige Jahre zu leben. Doch sein Lebensmut ist ungebrochen. Über sein Schicksal berichtete der Verein ALS Schweiz in seinem Jahresbericht 2023 und jetzt in sechs kurzen Online-Kapiteln.
Wie hat die ALS-Diagnose Ihr Leben verändert?
Mein Ziel war, Kinder zu haben. Das musste ich verabschieden. Geblieben ist, dass ich Zeit mit Menschen verbringen will, die ich liebe und mit denen ich viel teile. Und das kann ich immer noch. Am schwersten wiegt die Einbusse meiner Selbstständigkeit. Anfangs war es mir nicht bewusst, ich machte einfach weiter wie zuvor. Nach einem halben Jahr schaffte ich gewisse Dinge nicht mehr.
Zum Beispiel?
Eines Tages konnte ich die Pfanne nicht mehr vom Herd nehmen. Das regte mich enorm auf und machte mich traurig. Mir verging die Lust am Kochen. Eine Zeitlang machte ich viel im Ofen, dann begann ich, Essen zu bestellen. Oder beim Zähneputzen: kann ich den Knopf selber drücken oder soll das jemand für mich tun? Solche Fragen stelle ich mir jeden Tag. Manchmal bin ich froh um Hilfe, gleichzeitig will ich so selbstständig wie möglich bleiben. Ich muss eine Balance finden und meine Kraft einteilen.
Trotz Ihrem Schicksal strahlen Sie eine positive Haltung aus – wie machen Sie das?
Natürlich finde ich es schrecklich, was mir widerfährt. ALS ist wahrscheinlich eine der schlimmsten Krankheiten, die es gibt. Aber ich bin sehr gut eingebettet durch meine Familie und meine Freunde. Das hilft mir enorm. Auch meine Ausbildung sehe ich als Ressource. Ich habe gelernt, zu analysieren, was meine Möglichkeiten sind. Und beruflich erlebte ich Menschen, die ihren Mut trotz einem harten Schicksal nicht verloren haben. Das ermöglicht mir, eine gewisse Distanz zu meinem Schicksal einzunehmen. Ausserdem habe ich meinen Glauben, etwas ganz Persönliches, das mir hilft. Es ist nicht einfach zu akzeptieren, dass meine Tage bereits gezählt sind. Gleichzeitig sage ich mir, ich kann deprimiert sein, traurig, wütend oder ich kann sagen, nein, ich bin zufrieden und nutze, was ich habe. Und lebe ein wirkliches Leben, anstatt nur hier zu sein. Natürlich gibt es schwierige Tage. Immer wieder. Aber ich sage mir seit der Diagnose, jetzt geht es darum, das Beste daraus zu machen. Inzwischen schaffe ich es, mir zu erlauben, auch einmal traurig zu sein. Am Abend, wenn ich allein bin. Wenn ich mit meinen Leuten bin, möchte ich etwas davon haben. Die Krankheit ist da aber bestimmt nicht alles. Klar, 27 ist etwas jung, aber so ist es nun mal. Ich habe mein Leben in vollen Zügen gelebt. Im zweiten Kapitel erzählt Nicolas Gloor, wie es ihm gelingt, seinem Schicksal auch positive Aspekte abzugewinnen.
Zur Person: Nicolas Gloor (27) ist Sozialpädagoge und 26-jährig, als ihm die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert wird.
> Jahresbericht
> Jahresbericht als PDF
> Gesichter einer Krankheit