Gesichter einer Krankheit

Ausstellung «Hauptsache gesund»

Das Stapferhaus in Lenzburg zeigt zurzeit «Hauptsache gesund. Eine Ausstellung mit Nebenwirkungen».

In der Ausstellung kommen Menschen wie Regula Wipf, ALS-Betroffene, zu Wort. In Videoporträts erzählen die Betroffenen von ihren Erfahrungen mit ihren Erkrankungen, von den Schwierigkeiten und auch von schönen Momenten, die sie ohne Krankheit nicht erlebt hätten.

> Webseite vom Stapferhaus

> Clip 1 mit Regula Wipf | Clip 2 mit Regula Wipf

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Füreinander da sein und teilen

Nicolas Gloor #5: Der junge Mann aus Renens (VD) steht am Anfang seiner beruflichen Karriere als Sozialpädagoge und reist in den Senegal für einen Studienaufenthalt. Zurück kommt er mit der Vision, den Strassenkindern im westafrikanischen Land eine Perspektive zu geben. Denn er erlebt, wie sie Opfer von Menschenhandel werden, ihren Familien weggenommen, entrechtet und unterdrückt.

Nicolas Gloor will eine Brücke in die Schweiz bauen, uns bewusst machen, dass unser Glück nicht selbstverständlich ist: «Ich konnte nicht einfach weitergehen, nachdem ich das erlebt hatte», erinnert er sich. Doch es sollte anders kommen. Nachdem er eine Stiftung für sein Projekt gegründet hat, wird ihm die unheilbare Krankheit ALS diagnostiziert. Schon bald muss er seine Pläne für die Strassenkinder auf Eis legen. Anstatt sich für diese jungen Menschen einzusetzen, muss er sich jetzt um seine eigene Zukunft kümmern.

Doch seine Botschaft aus dem Senegal hat er mit in die Schweiz gebracht: «Es bringt nichts, individuell zu sein, wenn du nicht teilst.» Denn dort sei das Teilen allgegenwärtig und man teile selbst das Wenige, das man habe, miteinander. «Yakaar» heisst seine Stiftung, Hoffnungsschimmer, und sie wäre gedacht gewesen, Strassenkinder im Senegal zu ihren Familien zu bringen. Dorthin, wo man miteinander teilt, füreinander da ist und gemeinsam Zeit verbringt. Heute lebt Nicolas Gloor diese Botschaft in seinem eigenen Leben und verbringt so viel Zeit, wie er nur kann, mit seiner Familie und seinen Freunden. Teilt sein Leben mit ihnen. So wurde er selbst zu einem Hoffnungsschimmer.

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#4 Nicolas Gloor: Mehr als das eigene Schicksal

Drei Jahre vor seiner ALS-Diagnose fliegt Nicolas Gloor für einen Studienaufenthalt nach Afrika, in den Senegal. Als er im Flugzeug sitzt, fragt er sich, warum er ausgerechnet dorthin gehen wollte. Es sei reiner Zufall gewesen, erinnert er sich. Später wird er sagen, er habe dort eine der besten Zeiten seines Lebens gehabt.

In Dakar angekommen, arbeitet Nicolas Gloor in einem Notaufnahmezentrum, wo er Kinder und Jugendliche kennenlernt, die seit Jahren auf der Strasse leben, getrennt von ihren Familien, geschlagen und angekettet. «Ihr Schicksal berührte mich sehr und ich wollte nicht nach Hause gehen, ohne etwas zu tun», erzählt er. Der angehende Sozialpädagoge gründet eine Stiftung, um das Thema in Europa bekannt zu machen. Das war vor sechs Jahren. Noch heute habe er von Zeit zu Zeit Kontakt mit Jugendlichen, die er betreut habe. «Ich würde gern wieder in den Senegal reisen, kann aber nicht, weil ich im Rollstuhl bin», bedauert er.

«Nicolas hatte immer viel Bodenhaftung» Elisa Kila, beste Freundin

Die Reise in den Senegal sollte den jungen Mann tief beeindrucken. Das Schicksal der Strassenkinder, die Härte, die ihnen widerfährt. Seine beste Freundin, Elisa, sagt: «Ungerechtigkeit hat Nicolas immer beschäftigt. Als er in den Senegal ging, sah er sie mit eigenen Augen. Doch er hat seit jeher viel Bodenhaftung.» Bis heute gelingt es ihm, Kraft für sein Leben mit der schweren Krankheit ALS aus den Erlebnissen im Senegal zu schöpfen. Er habe dort gelernt, dass es mehr gebe als sein eigenes Schicksal.

Hoffnungsschimmer Als Nicolas Gloor in Dakar in einer Notaufnahme arbeitet, lernt er Kinder und Jugendliche kennen, die auf der Strasse lebten, getrennt von ihren Familien, geschlagen und angekettet. Er gründet eine Stiftung, um ein Auffangzentrum für sie aufzubauen Accueil | Yakaar : une lueur d’espoir

Zur Person: Nicolas Gloor (28) ist Sozialpädagoge und arbeitete in einem Begegnungszentrum für Strassenkinder in der Republik Senegal. Zurück in der Schweiz gründete er 2020 eine Stiftung, um lokale Organisationen zu unterstützen. Er habe im Senegal eine seiner besten Zeiten seines Lebens gehabt, obwohl er aus purem Zufall dorthin gegangen sei.

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#3 Nicolas Gloor: Keine Schwarzseher

Nicolas Gloor ist 26, als er erfährt, dass er ALS hat, eine unheilbare Nervenkrankheit, mit welcher in der Schweiz gut 600 Menschen leben. Diese und ihre Angehörigen unterstützt der Verein ALS Schweiz seit 17 Jahren. Sei es durch die Vermittlung von Fachpersonen oder die Ausleihe von Hilfsmitteln. So stiess Nicolas Gloor auf einen Therapeuten, der ihm vom Hilfsmitteldepot des Vereins erzählte. Ein Angebot, das ALS-Betroffenen schon oft gute Dienste leistete. Denn ohne Hilfsmittel ist der Alltag mit ALS kaum zu machen; die Krankheit schränkt Betroffene und Angehörige in vielerlei Hinsicht ein. Sie ist progredient, das heisst, der Gesundheitszustand wird zusehends schlechter, ohne Umkehr. Ausserdem verläuft sie meistens sehr schnell, weswegen das Wichtigste ist, keine Zeit zu verlieren, Hilfsmittel zu bekommen. Vor diesem Hintergrund entstand nach der Gründung des Vereins ALS Schweiz das Hilfsmitteldepot als Angebot, sofort Hilfsmittel anzubieten. Dort finden sich beispielsweise Pflegebetten, Wechseldruckmatratzen zur Prävention von Dekubitus und verschiedene Rollstühle.

Rollstuhl in einer Woche Mit ALS können selbst Handgriffe des Alltags unmöglich werden: Ein Glas Wasser holen – ohne fremde Hilfe nicht mehr machbar. Technische Hilfsmittel ermöglichen es, in gewissen Bereichen länger selbstständig bleiben zu können. Etwa in Sachen Mobilität, Atmung und Kommunikation. Doch Bewilligung, Anschaffung und individuelle Anpassung erfordern Zeit, finanzielle Mittel und vielfach das Know-how von Fachpersonen. Als Betroffener im IV-Alter hat Nicolas Gloor Anspruch auf Hilfsmittelversorgung durch die IV. Jedoch: «mit der IV hätte ich sechs Monate auf meinen Rollstuhl gewartet», erinnert sich Nicolas Gloor. Durch den Verein ALS Schweiz bekam er ihn nach einer Woche. Auch einen Sessel mit unterschiedlichen Sitzpositionen konnte ihm der Verein aus dem eigenen Hilfsmitteldepot ausleihen: «Der Sessel erleichtert mein Leben enorm. Es ist gut, zu wissen, dass es Menschen gibt, die für mich da sind», schwärmt Nicolas Gloor.

Positive Erfahrung Nebst Hilfsmitteln bietet der Verein ALS Schweiz auch Treffen für Betroffene und Angehörige, um sich untereinander zu vernetzen. Anfänglich habe er nicht das Bedürfnis gehabt, andere Betroffene kennenzulernen, erzählt Nicolas Gloor. Damit ist er nicht allein; ALS-Betroffene sagen nicht selten, sie wollten nicht sehen, was auf sie zukomme, wenn sie andere Betroffene kennenlernten. Als sich Nicolas Gloor entschliesst, an einem Treffen mitzumachen, ist er aber positiv überrascht: «Die Leute waren keine Schwarzseher, wie ich befürchtet hatte» Es habe ihm gutgetan, sich mit ihnen über seine Situation auszutauschen, erinnert er sich.

Ein besonderer Wunsch Bei der Diagnose ist Nicolas Gloor mit 26 Jahren deutlich jünger als die meisten anderen ALS-Betroffenen. Die Krankheit bricht meistens in der Lebensmitte aus; oft sind die Betroffenen in ihren Fünfzigern bei der Diagnose, vereinzelt sind Menschen in jungen Jahren und solche hohen Alters betroffen. So wandte sich Nicolas Gloor an den Verein ALS Schweiz, weil er jemand mit dieser Krankheit in seinem Alter kennenlernen wollte. Dank seiner Vernetzung mit Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen in der ganzen Schweiz konnte der Verein helfen und ihm eine Person vermitteln. Es sei einfach toll, zu wissen, dass es Menschen gebe, die für ihn da seien und die er mit einem solchen Wunsch kontaktieren könne, sagt Nicolas Gloor.

Die Krankheit der 1’000 Abschiede Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine unheilbare Nervenkrankheit mit tödlichem Verlauf. Sie zerstört die Signalübertragung der Motoneuronen, welche die Bewegung von Muskeln steuern. Als Folge treten Lähmungen auf. Mit wenigen Ausnahmen; Herz und Augen bleiben intakt, sowie die Sinnesorgane.

> Hilfsmittel-Angebot Verein ALS Schweiz

Bildlegende: Nicolas Gloor am Genfersee, acht Monate nach der ALS-Diagnose, Mai 2023

Wenn der Mann digital spricht

Anfangs sei es fremd gewesen, die Stimme ihres Mannes als digitale Kopie zu hören, erinnert sich Edith Dudler: «Es ist nicht 1:1, aber ich habe mich daran gewöhnt», sagt sie.

Im allerletzten Moment
Im August 2022 wurde dem früheren Elektromechaniker die schwere Nervenkrankheit ALS diagnostiziert, bei der über achtzig Prozent der Betroffenen Probleme mit der Stimme bekommen. Bei Willi Dudler beginnen sie ein Jahr vor der Diagnose. Auf Wunsch seiner Frau digitalisiert er seine Stimme; im allerletzten Moment. Inzwischen sei seine natürliche Stimme kaum mehr zu erkennen, sagt Edith Dudler. Nachdem Willi Dudler seine Stimme digital hat, ruft er seine Frau an. «Das berührte mich enorm», sagt sie. Seine neue Stimme komme etwa zu 75 Prozent an seine frühere heran, so Edith Dudler. Schade sei einfach, dass er nicht mehr in seinem Dialekt sprechen könne, sondern nur noch Hochdeutsch. Das sei bislang technisch leider noch nicht möglich. Der Verein ALS Schweiz verfolgt die Entwicklungen und wird bei der ersten Gelegenheit die Chance nutzen, das Angebot auch auf schweizerdeutsch anzubieten.

Seine Stimme werde sie nach seinem Tod wohl aufbewahren, sagt Edith Dudler.

Ein gutes Leben
ALS verkürzt die Lebenserwartung der Betroffenen meistens auf drei bis fünf Jahre nach den ersten Symptomen. Edith und Willi Dudler wussten deshalb nach der Diagnose nicht, ob sie noch einmal zusammen würden Weihnachten feiern können. Aber sie haben sich nie gefragt, warum es sie getroffen hat und warum es gerade diese Krankheit ist. «Es ist, wie es ist», sagt sie. Das sei ihre Einstellung und sie hätten beide ein gutes Leben gehabt.


Kostenloser Zugang Der Verein ALS Schweiz bietet seinen Mitgliedern in Kooperation mit der Acapela Group kostenlosen Zugang zum Voice Banking, um ihre Stimme digital zu erfassen. Ein entscheidender Schritt für ALS-Betroffene, um ein Stück Normalität zu bewahren.

Grosses Interesse Das Angebot des Vereins ALS Schweiz zur Digitalisierung der Stimme für Menschen mit ALS stösst auf grosses Interesse. Das sind die Zuwachsraten seit Projektstart im März 2023: 31 Beratungen (plus 29 Prozent) | 21 genehmigte Gesuche (plus 31 Prozent) | 16 aufgenommene Stimmen (plus 78 Prozent)

ALS-Formen spinal (60 bis 70 Prozent, Arme und Beine), bulbär (20 bis 30 Prozent, Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur), respiratorisch (ca. 5 Prozent, Atemmuskulatur) und Flail-Arm-Syndrom (ca. 3 Prozent, Schulter- und Oberarmmuskulatur).

Stimmverlust Die eigene Stimme ist ein wesentlicher Teil der Identität. Ihr Verlust kann Depression, Wut und Scham auslösen und zu Isolation führen.

> Voice Banking

Im letzten Moment

Willi Dudler entschliesst sich, seine Stimme mit Voice Banking zu digitalisieren. Der 74-Jährige hat ALS und wie achtzig Prozent der Betroffenen bekommt er Probleme mit dem Sprechen. Nachdem der Verein ALS Schweiz im März 2023 Voice Banking lanciert, gehört Willi Dudler zu den ersten, die das neue Angebot ausprobieren.

Globales Unternehmen Menschen, die ihre Stimme verlieren werden, können mit Voice Banking eine synthetische Stimme erzeugen, die ihrer eigenen ähnelt. In Europa bietet Acapela Group diese Technologie unter dem Namen my-own-voice an. Die Firma hat über zwanzig Jahre Erfahrung auf dem Gebiet und gehört seit 2022 zu Tobii Dynavox, einem globalen Unternehmen der unterstützenden Technologie.

Nicht warten Es gibt verschiedene Formen von ALS – Willi Dudler hat die bulbäre Form, bei der die Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur von der Krankheit betroffen sind und besonders häufig Sprachprobleme auftreten. Man dürfe deshalb keinesfalls warten, seine Stimme zu digitalisieren, sagt Willi Dudler. Er erinnert sich, dass es etwa ein Jahr vor seiner ALS-Diagnose im August 2022 anfing mit Verschlucken beim Essen und Lallen. «Wie wenn ich betrunken gewesen wäre», sagt er. Wenig später beginnen die Leute, laut und langsam mit ihm zu sprechen, «als ob ich ihnen nicht mehr folgen könne», sagt Willi Dudler.

Kein einfacher Weg Es war schliesslich seine Frau, die ihn motivierte, seine Stimme zu digitalisieren. Doch dann gab es Hürden auf dem Weg dorthin. Es sei sehr anstrengend für ihn gewesen, die Sätze aufzusprechen, die es für die Herstellung der synthetischen Stimme braucht. Und für die Installation der synthetischen Stimme habe er die Hilfe einer Fachperson gebraucht. «Ich kam fast an den Punkt, das Ganze wieder abzublasen», sagt Willi Dudler.

Um ein Haar verpasst Obwohl Willi Dudler mit seiner synthetischen Stimme nicht wie früher sprechen oder an einer normalen Unterhaltung mit mehreren Leuten teilnehmen kann, sein Umfeld reagiert gut auf die digitale Kopie. Einmal habe er zum Beispiel in der Apotheke etwas mit der neuen Stimme bestellt und das habe hervorragend geklappt. Ein andermal habe ihn eine Bekannte am Telefon nicht verstanden, als er mit seiner normalen Stimme sprach. Daraufhin habe er etwas mit der synthetischen Stimme aufgenommen und ihr vorgespielt. Sie sei ganz glücklich gewesen, ihn zu verstehen und habe gesagt: «Das bist ja du!» Er habe es um ein Haar verpasst, seine Stimme zu digitalisieren und könne nur empfehlen, es so früh wie möglich zu machen. Insbesondere, wenn man die bulbäre Form der ALS habe. Erfahren Sie im zweiten Teil der Geschichte, was Willi Dudlers Frau zur neuen Stimme ihres Mannes sagt.


Kostenloser Zugang Der Verein ALS Schweiz bietet seinen Mitgliedern in Kooperation mit der Acapela Group kostenlosen Zugang zum Voice Banking, um ihre Stimme digital zu erfassen. Ein entscheidender Schritt für ALS-Betroffene, um ein Stück Normalität zu bewahren. Seit Projektstart haben bereits 16 Personen ihre Stimme digitalisiert.

ALS-Formen spinal (60 bis 70 Prozent, Arme und Beine), bulbär (20 bis 30 Prozent, Sprech-, Kau- und Schluckmuskulatur), respiratorisch (ca. 5 Prozent, Atemmuskulatur) und Flail-Arm-Syndrom (ca. 3 Prozent, Schulter- und Oberarmmuskulatur).

Bildlegende Willi Dudler (74) hat ALS, verliert seine Stimme und hat sie im allerletzten Moment digitalisiert

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#2 Nicolas Gloor: vorbereitet auf das Lebensende

Es ist erstaunlich, welche positive Einstellung Nicolas Gloor hat. Mit 26 wird ihm ALS diagnostiziert, eine unheilbare Nervenkrankheit, die seine Lebenserwartung auf wenige Jahre verkürzt. Natürlich sei es nicht einfach, zu akzeptieren, dass seine Tage bereits gezählt seien. Aber das seien sie für uns alle: «Jeder kann morgen schon sterben» sagt Nicolas Gloor. Er sehe es aber als Chance, zu wissen, dass sein Ende nahe sei. Denn wenn jemand unerwartet sterbe, sei sein Lebensende ebenfalls nahe gewesen, während er darauf vorbereitet sei.

Innere Kraft Er sei immer jemand gewesen, der nach dem Positiven gesucht habe, auch wenn es nicht immer rund gelaufen sei. Doch Nicolas Gloors positive Einstellung ist alles andere als ein toxisches Denken von der Art, man müsse die Dinge nur positiv sehen und schon sei man auf der Sonnenseite des Lebens. Ein solches Denken mutete zynisch an angesichts einer ALS-Diagnose. Nein, darum geht es Nicolas Gloor nicht. Natürlich finde er es schrecklich, was ihm widerfahre, ALS sei wahrscheinlich eine der schlimmsten Krankheiten, die es gebe. Vielleicht sei es einfach so, dass er diese Krankheit habe, weil er sie tragen könne. «Ich hatte diese Kraft bereits in mir, bevor ich krank wurde», sinniert er.

Wir alle müssen gehen Er hört es oft, dass die Leute erstaunt sind, wie positiv er mit seinem Schicksal umgeht. Und sie sagten ihm auch, dass sie es nicht könnten, erzählt Nicolas Gloor. Er selber hingegen findet es nichts Besonderes: «Andere würden sicher auch so wie ich reagieren», meint er. Er nutze seine Zeit bewusst, weil er wisse, dass es bald vorbei sei. «Genau weiss ich es ja auch nicht», erklärt er, «vielleicht in fünf Jahren, vielleicht in sechs Monaten» Wir alle würden einmal gehen, nicht mehr da sein, er sei einfach vorbereitet darauf. Müsse sich keine Fragen stellen; wenn er nach Norwegen verreisen wolle, verreise er eben nach Norwegen und wenn er Lust habe, seine Freunde zu sehen, sehe er seine Freunde. Fertig.

Jetzt leben Nicolas Gloor sieht sogar Vorteile in seiner schweren Krankheit: «Ich muss nicht an Morgen denken» Natürlich lebe er nicht gedankenlos, sagt er gleich darauf. Auf eine Reise zum Beispiel müsse er sich gut vorbereiten: «Ich muss viel mehr planen als früher, meine Therapien, die Unterkunft, das Essen» Aber er müsse sich kein Budget mehr machen für eine Reise, wenn er tot sei, brauche er kein Geld mehr: «Ich muss die Dinge jetzt machen»

Zur Person: Nicolas Gloor (27) ist Sozialpädagoge und 26-jährig, als ihm die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert wird.

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#1 Nicolas Gloor: EIN WIRKLICHES LEBEN 

Nicolas Gloor ist 26-jährig, als ihm Amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert wird, kurz ALS. Auf einen Schlag bleiben dem jungen Mann einige wenige Jahre zu leben. Doch sein Lebensmut ist ungebrochen. Über sein Schicksal berichtete der Verein ALS Schweiz in seinem Jahresbericht 2023 und jetzt in sechs kurzen Online-Kapiteln. 

Wie hat die ALS-Diagnose Ihr Leben verändert?
Mein Ziel war, Kinder zu haben. Das musste ich verabschieden. Geblieben ist, dass ich Zeit mit Menschen verbringen will, die ich liebe und mit denen ich viel teile. Und das kann ich immer noch. Am schwersten wiegt die Einbusse meiner Selbstständigkeit. Anfangs war es mir nicht bewusst, ich machte einfach weiter wie zuvor. Nach einem halben Jahr schaffte ich gewisse Dinge nicht mehr. 
  

Zum Beispiel?
Eines Tages konnte ich die Pfanne nicht mehr vom Herd nehmen. Das regte mich enorm auf und machte mich traurig. Mir verging die Lust am Kochen. Eine Zeitlang machte ich viel im Ofen, dann begann ich, Essen zu bestellen. Oder beim Zähneputzen: kann ich den Knopf selber drücken oder soll das jemand für mich tun? Solche Fragen stelle ich mir jeden Tag. Manchmal bin ich froh um Hilfe, gleichzeitig will ich so selbstständig wie möglich bleiben. Ich muss eine Balance finden und meine Kraft einteilen.
 

Trotz Ihrem Schicksal strahlen Sie eine positive Haltung aus – wie machen Sie das?
Natürlich finde ich es schrecklich, was mir widerfährt. ALS ist wahrscheinlich eine der schlimmsten Krankheiten, die es gibt. Aber ich bin sehr gut eingebettet durch meine Familie und meine Freunde. Das hilft mir enorm. Auch meine Ausbildung sehe ich als Ressource. Ich habe gelernt, zu analysieren, was meine Möglichkeiten sind. Und beruflich erlebte ich Menschen, die ihren Mut trotz einem harten Schicksal nicht verloren haben. Das ermöglicht mir, eine gewisse Distanz zu meinem Schicksal einzunehmen. Ausserdem habe ich meinen Glauben, etwas ganz Persönliches, das mir hilft.
Es ist nicht einfach zu akzeptieren, dass meine Tage bereits gezählt sind. Gleichzeitig sage ich mir, ich kann deprimiert sein, traurig, wütend oder ich kann sagen, nein, ich bin zufrieden und nutze, was ich habe. Und lebe ein wirkliches Leben, anstatt nur hier zu sein. Natürlich gibt es schwierige Tage. Immer wieder. Aber ich sage mir seit der Diagnose, jetzt geht es darum, das Beste daraus zu machen. Inzwischen schaffe ich es, mir zu erlauben, auch einmal traurig zu sein. Am Abend, wenn ich allein bin. Wenn ich mit meinen Leuten bin, möchte ich etwas davon haben. Die Krankheit ist da aber bestimmt nicht alles. Klar, 27 ist etwas jung, aber so ist es nun mal. Ich habe mein Leben in vollen Zügen gelebt. Im zweiten Kapitel erzählt Nicolas Gloor, wie es ihm gelingt, seinem Schicksal auch positive Aspekte abzugewinnen. 

Zur Person: Nicolas Gloor (27) ist Sozialpädagoge und 26-jährig, als ihm die unheilbare Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert wird.

> Jahresbericht
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MUTTERTAG BEI WIPFS

Fragen an Bettina Coppens, Tochter von Regula Wipf, ALS-Betroffene seit 2021.

Welche Momente geniessen Sie besonders mit ihrer Mutter?
Besondere Momente mit meiner Mutter gibt es viele, das kann ein kleines Gespräch sein, eine Erinnerung austauschen, Kaffee und Kuchen gemeinsam geniessen. Oder auch Eis essen in der Eisdiele in Waldshut, mit den Hunden spazieren gehen, Pflanzen auf ihrem Balkon pflanzen, ihr eingerahmte Fotos mit Erinnerungen schenken, die Hunde auf ihr Bett oder ihren Schoss setzen und gemeinsam emotional über die Zeit nachdenken, wo sie mein Pferd noch reiten konnte…

Was planen Sie am Muttertag?
Für den Muttertag haben wir noch nichts geplant, im Moment ist der Alltag schwer genug für meine Eltern, so gehen wir Schritt für Schritt voran. Es kann gut sein, dass wir einen Brunch machen oder den Nachmittag gemeinsam verbringen. Wiederum kommt mir in den Sinn, dass wir bis vor ein paar Jahren ab und zu am Muttertag in den Zirkus Knie gegangen sind und zuvor ein feines Frühstück bei Felix genossen haben… Das könnte ich ihr als Überraschung organisieren.
Im Juni gehen wir auf jeden Fall ans Rod Stewart Konzert und machen auch noch ein Familienfotoshooting mit Pferd und Hunden.

Herzlichen Dank für den Einblick! Schönen Muttertag!

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Im Gedenken an Elisabeth Zahnd

Elisabeth Zahnd ist vierfache Mutter und 60-jährig, als sie erfährt, dass sie ALS hat. Während viele zum ersten Mal von der tödlichen Nervenkrankheit hören, wenn sie davon betroffen sind, wusste Elisabeth Zahnd, was auf sie zukommen würde. Ihr Vater war von der unheilbaren Krankheit betroffen und auch ihr Bruder.

Viele Male waren wir bei Zahnds zu Besuch und durften mit der Oltner Videocrew VJii Productions zwei Clips über ihr Schicksal mit ALS aufnehmen. Es entstanden berührende Einblicke in eine Familie, die jeden Tag neu lebt. Das Unvermeidliche klar vor Augen. In einem der beiden Clips sagt Elisabeth Zahnd, es gelte jeden Tag, Abschied zu nehmen. Bewusst.

Nun ist Elisabeth Zahnd im Alter von 65 Jahren verstorben. Wir entbieten der Trauerfamilie von ganzem Herzen unseren Wunsch, ihre Erinnerungen an gemeinsame Stunden mögen ihnen zum Trost gereichen. Wir behalten eine lebensfrohe Frau in Gedenken, die uns offen im Kreis ihrer Liebsten empfing.

Elisabeth Zahnd, 17. September 1958 bis 25. Oktober 2023