#5 Regula Wipf: Zwischen Segeln und Sinken

Gesichter einer Krankheit, Teil 5: Regula Wipf wird kurz nach ihrer Pensionierung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) diagnostiziert, eine unheilbare und tödlich verlaufende Nervenkrankheit. Ein Interview eineinhalb Jahre danach.

Wie ging es Ihnen nach der Diagnose? Es drehte sich 24 Stunden alles nur noch um die Krankheit. Ich fühlte mich allein gelassen mit all den Fragen und Abklärungen. Dank meiner Familie wurde ich aktiv. Es begann mit einem Konzert von Elton John; ich merkte, dass ich noch lebe. Dann verreisten wir zusammen, solange es noch gehen würde. Nach London, Venedig, Wales und in die Provence.

Kann man sich an die Krankheit gewöhnen? Ich weiss nicht, ob das möglich ist. Eher Akzeptieren. Manchmal kommt jede Woche etwas Neues hinzu. Zum Beispiel eine Verkrampfung in den Zehen, die mir den Schlaf raubt.

Was hilft Ihnen, Balance zu finden? Es braucht eine bewusste Hinwendung zum Leben. Und ich schaffe auch einmal Distanz zur Krankheit, klinke mich aus. Gleichzeitig suche ich bewusst die Stille, kehre in mich, setze mich damit auseinander. Auch mit dem Sterben.

Was macht Sie glücklich? Das Reiten, die Familie, die Natur.

Was macht Sie traurig? Die Krankheit.

Was ist Ihnen einerlei? Vieles ist weniger wichtig als früher. Dinge, die ich nicht beeinflussen kann. Auch Sachen, die ich nicht mehr machen kann.

Was nervt Sie? Dass ich alle Informationen zusammensuchen muss.

Welche Frage können Sie nicht mehr hören? Es sind eher Antworten, die ich nicht mehr hören kann. Wenn jemand partout nicht glaubt, dass ich ALS habe. «Gute Besserung» kann ich inzwischen stehenlassen, die Leute wissen einfach nicht, was sie sagen sollen, das musste ich lernen.

Welche Frage würden Sie gerne gestellt bekommen? Ob ich an ein Konzert komme.

In einem jüngst erschienenen Buch über Autorinnen und Autoren, die über ihr Sterben schreiben, ist die Rede von einer «Ambivalenz zwischen Lebenwollen und Sterbezuwendung» und einem «Schwanken zwischen Segeln und Sinken» (vgl. Lesetipp), kennen Sie das? Oh ja! Ich erinnere mich an mein erstes Treffen mit Betroffenen und Angehörigen; wie ich Mühe hatte, mich aufzuraffen, aber dann begeistert war von ihrer Lebensfreude. Und ich muss aufpassen, dass ich nicht in die Krankheit falle. Oft merke ich es erst, wenn ich unten bin.

Ziele, Wünsche, Pläne, die sich veränderten? Ich wollte aufs «Vrenelisgärtli», dachte, ich hätte noch viel Zeit. Heute würde ich einfach machen, heute gibt es ein Jetzt. Ich verschiebe nicht mehr.

Was wünschen Sie sich für die letzte Zeit? Dass ich nicht ersticke! Und mir eine gewisse Freiheit bewahren kann. Dass ich mache, was für mich stimmt, wenn der Moment kommt, wo ich gewisse Eingriffe nicht mehr will. Zum Beispiel die PEG-Sonde oder den Luftröhrenschnitt.

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