ALS-Pflegeforum in Basel #3
Teil drei unserer Gesprächsreihe mit Pflegeexpertin Ursula Schneider vom Muskelzentrum St. Gallen; diesmal über die Besonderheiten der Krankheit ALS und darüber, was Angehörige wissen müssen.
Was kennzeichnet die Krankheit ALS? Es ist ein «Turbo-Alterungsprozess», mit Interventionen, die eine grosse Herausforderung Betroffene, ihr Umfeld sowie Fachpersonen sind, wie zum Beispiel die Handhabung einer PEG-Sonde zur künstlichen Ernährung durch die Bauchdecke oder eine Beatmung. Nicht von ungefähr ist von der «Krankheit der 1’000 Abschiede» die Rede. Es gibt nicht viele chronisch degenerative, schwere Krankheiten, welche einen so aus dem Leben reissen wie ALS. Und die Krankheit verläuft progredient, das heisst es wird kontinuierlich schlechter, man muss sich dauernd anpassen. Überraschenderweise zeigen Studien, dass die Betroffenen ihre Lebensqualität viel besser einschätzen, als man erwarten würde.
Und die Angehörigen? Viele sind völlig erschöpft. Nicht selten entsteht auch eine Wut auf die Krankheit. Als Angehöriger ist man oft allein mit allem und weiss, dass einem der Partner genommen wird. Am belastendsten ist es, wenn sich beim Betroffenen eine sogenannte frontotemporale Demenz ausbildet und sich die Persönlichkeit verändert. Typisch sind zum Beispiel eine Enthemmung oder ein komplettes Desinteresse am Gegenüber. Dieser Aspekt von ALS war noch vor wenigen Jahren ein Tabu. Angehörige müssen sich unbedingt Freiräume schaffen.
Was fehlt den Angehörigen? Es gibt kaum Angebote für ihre Entlastung. Ein grosses Thema sind die Nächte. Viele sind berufstätig, lagern den Partner mehrmals in der Nacht um und prüfen den Sitz der Sauerstoffmaske, wenn der Betroffene beatmet wird. Nacht für Nacht. Am Morgen wäscht zwar oft die Spitex den Betroffenen und kleidet ihn an, aber dann beginnt der Tag erst. Später muss jemand das Essen eingeben, beim Schnäuzen helfen und beim Toilettengang dabei sein. Und es gibt Betroffene, die ihre Situation partout nicht wahrhaben wollen; keine fremde Pflege zulassen und keine Hilfsmittel akzeptieren.
Die St. Galler ALS Clinic gehört zum nationalen Netzwerk neuromuskulärer Zentren Myosuisse. Was gefällt Ihnen besonders gut dort? Dass bei uns Pflege und Forschung aus einer Hand kommen. Wir sehen die Menschen von Anfang an, wenn sie noch gesund sind und den ganzen Krankheitsverlauf hindurch. Das geht einem nahe und zugleich ist es auch schön. Denn wir lernen sie und ihre Angehörigen sehr gut kennen. Und wir verstehen immer tiefer, was ALS mit den Betroffenen und den Angehörigen macht.